„Darfst mich umarmen. Wird sicher schön wirst sehen.“
Nach langer Zeit kommt ein Mädchen erstmals wieder zurück nach Hause in den Kreis der Familie – hochschwanger wird es vom Vater des zukünftigen Kindes begleitet. Die Familie hat sich schon lange nicht mehr gesehen, und seit dem letzten Besuch hat sich kaum etwas verändert. Die Mutter ist krank, der Vater steckt dem Mädchen Geld zu, die Schwester sucht permanent jemanden, mit dem sie Karten spielen kann – dabei fragt niemand aus der Familie nach dem Namen des Freundes, der sich in die Ecke setzt und Bücher liest. Es passiert: Nichts.
Fast nichts. Scheinbar nichts. Denn da ist die Stille. Und Jon Fosse ist ihr größter Magier. So zeichnet er mit diesem Familientreffen ein Tollhaus der Ereignislosigkeit und fordert uns dazu auf, eigene Visionen zuzulassen. Es ist vielmehr ein Rhythmus des Schweigens und der knappen Sätze. Wilde poetische Einfachheit schafft einen nahezu unendlichen Raum für Gedanken, für Staunen und Zweifeln. Denn es ist eine heikle Welt, die sich zeigt, und Fosse gibt einem Zeit, sie ganz ohne Druck zu betrachten. Und schließlich können wir feststellen, dass es unsere Welt ist. Die unserer täglichen Erfahrungen, die uns aufs Äußerste präzise vor Augen geführt werden: Ausnahmslos jede*r von uns steckt in einer Krise und sucht nach Bedeutung – danach, was es überhaupt heißt, am Leben zu sein.
Indirekt bringt Jon Fosse dadurch noch ein anderes Thema zur Sprache: Kommunikation. Die war noch nie leichter als heute, über nahezu jegliche Entfernung, mit eigentlich jedem anderen Menschen auf der Welt. Doch wie gestaltet sich unter den medialen Bedingungen unserer Gegenwart der Austausch mit der Person direkt vor uns? Alle sprechen miteinander – aber verstehen sie sich auch? Der Kosmos wird immer kleiner, aber ist jede*r darin eigentlich für sich und allein? Am Ende stellt sich in der Konsequenz natürlich die Frage, was der Tod sein könnte. In der Verzweiflung Hoffnung finden – das wäre vielleicht eine Möglichkeit, um auf einen nächsten Tag zu blicken.
Jon Fosse schenkt uns eben diese Hoffnung auf das, was als Nächstes passieren wird, und eröffnet damit einen Ausweg aus Düsternis und großer Traurigkeit. Er gibt „dem Unsagbaren eine Stimme“, wie es auch in der Begründung zum Literaturnobelpreis heißt, den er 2023 erhielt.
Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass in der Vorstellung STROBOSKOP-EFFEKTE eingesetzt werden.
„Ein Stück zu inszenieren, in dem das Schweigen die Hauptrolle spielt, ist ein heikles Unterfangen. […] es liegt am Ensemble, die Leerstellen spürbar zu machen. Das gelingt an diesem behutsam inszenierten, aber durchaus familiäre Klischees bedienenden Abend mit Bravour. […] Kay Voges gibt seinem Ensemble genügend Raum und Zeit, um die Stille zwischen den Wortfetzen bis an die Schmerzgrenze auszureizen. […] Anna Rieser, die kürzlich mit einer Nestroy-Nominierung als beste Schauspielerin bedacht wurde, gibt die hochschwangere, im Leben offensichtlich planlose junge Frau mit einer hinreißenden Perspektivlosigkeit. […] Wie fulminant Fabian Reichenbach seine zögernden Sprechversuche anlegt, ist sehenswert. […] Herzlicher Applaus für einen langsamen, stillen und darum umso lauteren Abend.“ (Sonja Harter, APA)
„Kay Voges […] inszeniert ‚Der Name‘ von Literaturnobelpreisträger Jon Fosse exzellent als Kammerspiel […] Voges macht, was nur ein guter Regisseur kann: radikal verdichten.“ (Rainer Nowak, Kronen Zeitung)
„Am besten ist dieser konzentrierte Abend dann, wenn das Verdrängte, das Totgeschwiegene und das Nicht-Aussprechbare rumoren darf – in aller Stille. In den perspektivlosen Blicken von Anna Rieser, wenn sie sich zärtlich über den Babybauch streichelt, oder in Fabian Reichenbachs schockgefrorener Miene.“ (Julia Schafferhofer, Kleine Zeitung)
„[…] die 105 Minuten lange Aufführung offeriert auch beachtliche Stärken, getragen von einem Ensemble, das mit Herzblut all diese schmerzhaft ans Existenzielle rührenden Dialoge spielt. Eigentlich scheinen sie meist Monologe zu sein, weil offenbar kaum jemand dem Gegenüber zuhören will. Und das Ungesagte ist so vielsagend, als hätten Anton Tschechow und Samuel Beckett gemeinsam Fosse inspiriert.“ (Norbert Mayer, Die Presse)
45 Min.
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